Morgen, am 30. Oktober wird sich der Nationalrat im Rahmen zweier Standesinitiativen (18.300 und 18.316) und einer Motion (19.3975) mit dem Thema Einkaufstourismus befassen. Während des Corona-Lockdowns im Frühjahr war diese Form des Einkaufs unterbunden. Die Grossverteiler und Hofläden wurden mit Anfragen überrannt, Produktion und Handel schafften es unter grossem Arbeitseinsatz die Versorgung jederzeit zu gewähren. Mit einiger Ernüchterung nahm die Branche wahr, dass nur wenige Wochen nach der erneuten Grenzöffnung das Phänomen wieder ähnlich stark ausgeprägt war. Gemäss Einschätzungen der Credit Suisse auf Basis von Debitkarten-Transaktionen wird das Ausmass des Einkaufstourismus auf ungefähr CHF 8 Mrd. pro Jahr (2019) beziffert. Eine Umfrage im Auftrag der Agro Marketing Suisse AMS ergaben 2020, dass mehr als ein Fünftel der Befragten mindestens ab und zu im Ausland einkaufen und dafür durchschnittlich mehr als 40 Minuten Fahrzeit auf sich nehmen.
Motivation für den Einkauf auf der anderen Seite der Grenze ist der Preisunterschied. Eine Studie der Hochschule St. Gallen HSG (Link) zeigt auf, dass selbst im Falle eines Freihandels die Produktionskosten für Schweizer Obst, Gemüse und Kartoffeln nicht gesenkt werden könnten und auch der Handel seine Dienstleistungen nicht markant vergünstigen könnte. Bei den untersuchten Produkten – Tafeläpfeln, Lagerkarotten, Rispentomaten und Kartoffeln- machen Strukturkosten, d.h. Kosten für Gebäude, Maschinen und Land, jeweils mindestens 30% der Aufwände aus. Der Anteil der Arbeitskosten reicht von 16% (Lagerkarotten) bis 49% (Tafeläpfel). Weder die Struktur- noch die Arbeitskosten können auf das Preisniveau im grenznahen Ausland gesenkt werden und würden gemäss Studie selbst bei einem Agrarfreihandelsabkommen nicht sinken. Kurzum: Es ist unmöglich, dass Schweizer Produzenten und Grosshändler die Kosten bei zentralen Produktionsfaktoren entscheidend senken können.
Darum stellt sich die Frage, wie die einheimische Wertschöpfungskette gegenüber dem Preisdruck im und aus dem Ausland gestärkt werden kann. Der Grenzschutz ist in diesem Zusammenhang ein wirksames Instrument, entfaltet beim Einkaufstourismus aber leider keinerlei Wirkung. Hier wäre es notwendig, die wertmässige Freigrenze im Reiseverkehr für Lebensmittel so zu reduzieren, dass der Wocheneinkauf in der Schweiz attraktiv bleibt – z.B. auf CHF 50.- pro Person und Tag. Gleiches müsste für die Mehrwertsteuer-Befreiung zutreffen. Mit Blick auf den zunehmenden Onlinehandel sollte die Chance nicht verpasst werden, auch hier die Grundlagen für einen Schutz der einheimischen Land- und Ernährungswirtschaft zu legen.